Biologische Väter müssen sich in Deutschland mit eingeschränkten Rechten abfinden. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat die Klage von zwei Betroffenen abgewiesen: Es gibt keinen Anspruch auf Anerkennung der Vaterschaft, wenn die Mutter mit einem anderen Mann zusammenlebt, der rechtlich als Vater gilt. mehr...
Das Urteil des EGMR ist noch nicht rechtskräftig. Die Kläger können innerhalb von drei Monaten die Verweisung an die Große Kammer des EGMR beantragen.
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Ahrens v. Germany and Kautzor v. Germany (German version)
Straßburg (dpa) Eil +++ Menschenrechts-Gericht weist Klagen ... suedkurier.de
Urteil: Straßburg weist Klagen leiblicher Väter ab Potsdamer Neueste Nachrichten
Abweisung von Klagen mutmaßlich leiblicher Väter zur
Anfechtung der Vaterschaft nicht konventionswidrig
In seinen heute verkündeten Kammerurteilen in den Verfahren Ahrens gegen
Deutschland (Beschwerdenummer 45071/09) und Kautzor gegen Deutschland
(Beschwerdenummer 23338/09), die noch nicht rechtskräftig sind 1 , stellte der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einstimmig fest, dass keine
Verletzung von Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens)
und keine Verletzung von Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 14
(Diskriminierungsverbot) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)
vorlag.
Beide Fälle betrafen die Entscheidungen der deutschen Gerichte, Klagen zur Anfechtung
der Vaterschaft abzuweisen, die die Beschwerdeführer erhoben hatten. Einer der
Beschwerdeführer ist leiblicher Vater einer Tochter, der andere mutmaßlich leiblicher
Vater einer Tochter; rechtlicher Vater ist jeweils ein anderer Mann, der mit der
Kindesmutter zusammen lebt.
Zusammenfassung des Sachverhalts
Der Beschwerdeführer im ersten Verfahren, Denis Ahrens, geboren 1970, lebt in Berlin.
Der Beschwerdeführer im zweiten Verfahren, Heiko Kautzor, geboren 1971, lebt in
Willich. Beide sind deutsche Staatsangehörige.
Herr Ahrens ging davon aus, Vater einer im August 2005 geborenen Tochter zu sein,
mit deren Mutter, Frau P., er eine Beziehung gehabt hatte. Zur Zeit der Empfängnis lebte
Frau P. mit einem anderen Mann, Herrn M., zusammen, der die Vaterschaft für das Kind
anerkannte. Das Paar hat das gemeinsame Sorgerecht und kümmert sich gemeinsam
um das Kind. Im Oktober 2005 erhob Herr Ahrens Klage wegen Anfechtung der
Vaterschaft von Herrn M. und gab eine eidesstattliche Versicherung ab, er habe während
der Empfängniszeit intime Kontakte mit Frau P. gehabt. Herr M. machte geltend, er
übernehme die volle elterliche Verantwortung für das Kind, selbst wenn er nicht der
leibliche Vater sei.
Nach Anhörung aller Parteien stellte das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg mit Urteil
vom April 2007 fest, dass Herr Ahrens leiblicher Vater des Kindes sei. Das Gericht
berücksichtigte ein Sachverständigengutachten sowie das Ergebnis eines Bluttests, der
Herrn Ahrens’ biologische Vaterschaft nachwies, und kam zu der Auffassung, dass er
nicht an der Anfechtung der Vaterschaft von Herrn M. gehindert sei. Im August 2007 hob
das Kammergericht Berlin das Urteil des Amtsgerichts auf und befand, dass Herr Ahrens
kein Recht habe, die Vaterschaft anzufechten, da zwischen Herrn M. und dem Kind eine
sozial-familiäre Bindung bestehe, die andauere, obwohl erwiesen sei, dass Herr M. nicht
1 Gemäß Artikel 43 und 44 der Konvention sind Kammerurteile nicht rechtskräftig. Innerhalb von drei Monaten
nach der Urteilsverkündung kann jede Partei die Verweisung der Rechtssache an die Große Kammer
beantragen. Liegt ein solcher Antrag vor, berät ein Ausschuss von fünf Richtern, ob die Rechtssache eine
weitere Untersuchung verdient. Ist das der Fall, verhandelt die Große Kammer die Rechtssache und
entscheidet durch ein endgültiges Urteil. Lehnt der Ausschuss den Antrag ab, wird das Kammerurteil
rechtskräftig.
Sobald ein Urteil rechtskräftig ist, wird es dem Ministerkomitee des Europarats übermittelt, das die Umsetzung
der Urteile überwacht. Weitere Informationen zum Verfahren der Umsetzung finden sich hier:
www.coe.int/t/dghl/monitoring/execution. Pressemitteilung
2
der leibliche Vater sei. Im Mai 2009 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, die
Verfassungsbeschwerde Herrn Ahrens’ zur Entscheidung anzunehmen.
Herr Kautzor ging davon aus, Vater der im März 2005 geborenen Tochter seiner
ehemaligen Ehefrau, Frau D., zu sein. Frau D. lebt mit einem neuen Partner, Herrn E.,
zusammen, der die Vaterschaft für das Kind im Mai 2006 anerkannte. Später bekam das
Paar zwei weitere Kinder und heiratete. Herr Kautzor teilte seiner ehemaligen Ehefrau
mit, dass er Umgang mit dem Kind wünsche und beabsichtige, die Vaterschaft
anzuerkennen. Im Juli 2006 reichte er beim Amtsgericht Bielefeld Klage auf Feststellung
seiner Vaterschaft ein und erweiterte die Klage im Folgenden um einen Antrag auf
Anfechtung der Vaterschaft von Herrn E.
Nach Anhörung der Parteien einschließlich des für das Kind bestellten Verfahrenspflegers
wies das Amtsgericht die Anträge Herrn Kautzors mit Urteil vom Juni 2008 zurück. Das
Gericht befand, dass er von der Vaterschaftsanfechtung ausgeschlossen sei, weil eine
sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater Herrn E.
bestehe. Da das Kind einen rechtlichen Vater habe, habe Herr Kautzor auch kein Recht
auf Feststellung seiner Vaterschaft durch einen Gentest. Das Oberlandesgericht wies
seine Berufung im Dezember 2008 zurück. Auf eine Anhörungsrüge Herrn Kautzors
bestätigte das Oberlandesgericht, dass er nach den maßgeblichen Bestimmungen des
BGB in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts auch nicht berechtigt sei, eine
Abstammungsuntersuchung einzufordern, ohne dass seine rechtliche Vaterschaft
festgestellt würde. Im Juni 2009 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, die
Verfassungsbeschwerde Herrn Kautzors zur Entscheidung anzunehmen.
Beschwerde, Verfahren und Zusammensetzung des Gerichtshofs
Unter Berufung auf Artikel 8 für sich genommen und in Verbindung mit Artikel 14 rügten
beide Beschwerdeführer die Entscheidungen der deutschen Gerichte, ihre Klagen zur
Anfechtung der Vaterschaft zurückzuweisen, und machten geltend, dass sie im
Verhältnis zur Mutter, zum rechtlichen Vater und zum Kind diskriminiert würden.
Die Beschwerde Herrn Ahrens’ wurde am 18. August 2009 und die Beschwerde Herrn
Kautzors am 30. April 2009 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
eingelegt. Im Fall Ahrens erhielten Frau P. und Herr M., die rechtlichen Eltern der
leiblichen Tochter des Beschwerdeführers, die Erlaubnis, als Drittpartei eine
Stellungnahme einzureichen.
Die Urteile wurden von einer Kammer mit sieben Richtern gefällt, die sich wie folgt
zusammensetzte:
Dean Spielmann (Luxemburg), Präsident,
Elisabet Fura (Schweden),
Boštjan M. Zupančič (Slowenien),
Mark Villiger (Liechtenstein)
Ganna Yudkivska (Ukraine),
Angelika Nußberger (Deutschland),
André Potocki (Frankreich), Richter,
und Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin.
Entscheidung des Gerichtshofs
Artikel 8
In beiden Fällen kam der Gerichtshof zu der Auffassung, dass die Entscheidungen der
deutschen Gerichte, die Anträge der Beschwerdeführer auf Feststellung der rechtlichen
Vaterschaft für ihr leibliches bzw. mutmaßlich leibliches Kind zurückzuweisen, einen
Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 darstellten. Gleichzeitig Pressemitteilung
3
befand der Gerichtshof, dass diese Entscheidungen keinen Eingriff in ihr Recht auf
Achtung des Familienlebens im Sinne von Artikel 8 bedeuteten, da niemals eine enge
persönliche Bindung zwischen den Beschwerdeführern und den Kindern bestanden hatte.
In einem anderen Fall, Anayo gegen Deutschland 2 , hatte der Gerichtshof eine Verletzung
von Artikel 8 aufgrund der Weigerung der deutschen Gerichte festgestellt, einem Mann
Umgang mit seinen leiblichen Kindern zu gewähren, da er nie eine sozial-familiäre
Bindung zu ihnen gehabt habe. Die von Herrn Ahrens und Herrn Kautzor erhobenen
Klagen hatten jedoch ein weitreichenderes Ziel: sie waren auf ihre vollständige
Anerkennung als rechtlicher Vater des jeweiligen Kindes ausgerichtet und somit darauf,
die Vaterschaft des existierenden rechtlichen Vaters anzufechten. Herr Kautzor rügte
darüber hinaus die mangelnde Möglichkeit, seine mutmaßliche Vaterschaft festzustellen,
ohne den rechtlichen Status des Kindes anzufechten.
Der Gerichtshof stellte fest, dass einer von ihm durchgeführten rechtsvergleichenden
Untersuchung zufolge mutmaßliche biologische Väter in einer Mehrheit der
Mitgliedstaaten des Europarats die Möglichkeit haben, die – durch
Vaterschaftsanerkennung festgestellte - Vaterschaft eines anderen Mannes anzufechten,
selbst wenn der rechtliche Vater in einer sozial-familiären Beziehung mit dem Kind lebt.
In einer signifikanten Minderheit von neun Mitgliedstaaten hingegen hat der mutmaßliche
biologische Vater keine Möglichkeit, die Vaterschaft des rechtlichen Vaters anzufechten.
Folglich besteht kein gefestigter Konsens und die Mitgliedstaaten verfügen daher über
einen weiten Beurteilungsspielraum im Hinblick auf die Festlegung des rechtlichen Status
eines Kindes in einer entsprechenden Situation.
Zwar hatten die Beschwerdeführer Anspruch auf Schutz ihres Interesses an der
Feststellung eines wesentlichen Gesichtspunktes ihres Privatlebens und an dessen
rechtlicher Anerkennung. Die Entscheidungen der deutschen Gerichte hatten aber darauf
abgezielt, dem Willen des Gesetzgebers zu entsprechen, einem bestehenden
Familienverband zwischen dem betroffenen Kind und seinem rechtlichen Vater, der sich
regelmäßig um das Kind kümmert, Vorrang einzuräumen gegenüber der Beziehung
zwischen dem (angeblichen) leiblichen Vater und seinem Kind. Aus dem Urteil im Fall
Anayo gegen Deutschland ließ sich ableiten, dass die Mitgliedstaaten nach Artikel 8
verpflichtet sind zu prüfen, ob es im Kindeswohlinteresse liegt, dem leiblichen Vater die
Möglichkeit zu geben, eine Beziehung zu seinem Kind aufzubauen, etwa durch
Gewährung des Umgangsrechts. Daraus folgt aber nicht notwendigerweise eine
Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach der Konvention, biologischen Vätern die
Möglichkeit einzuräumen, den Status des rechtlichen Vaters anzufechten.
Im Hinblick auf den Fall Kautzor stellte der Gerichtshof fest, dass keiner der 26
Mitgliedstaaten, die er in seiner rechtsvergleichenden Untersuchung berücksichtigt hatte,
ein Verfahren vorsieht, um die biologische Vaterschaft festzustellen, ohne gleichzeitig die
Vaterschaft des rechtlichen Vaters anzufechten. Die Entscheidung, die Möglichkeit einer
solchen separaten Prüfung vorzusehen oder nicht, fiel folglich auch in den
Beurteilungsspielraum des Staates.
Der Gerichtshof zeigte sich darüber hinaus überzeugt, dass die deutschen Gerichte die
jeweilige Situation in beiden Fällen sorgfältig geprüft hatten. Folglich lag in beiden Fällen
keine Verletzung von Artikel 8 vor.
Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 14
Der Gerichtshof stellte fest, dass der Hauptgrund für die Ungleichbehandlung der
Beschwerdeführer im Vergleich zur Mutter, zum rechtlichen Vater und zum Kind
hinsichtlich der Möglichkeit, die Vaterschaft anzufechten – und im Fall Kautzor
hinsichtlich der Möglichkeit, einen Gentest zu verlangen – in der Absicht lag, das
jeweilige Kind und seine soziale Familie vor äußerer Beeinträchtigung zu schützen. In
Erwägung seiner Schlussfolgerungen hinsichtlich Artikel 8 kam der Gerichtshof zu der
2 Anayo gegen Deutschland 20578/07 vom 21. Dezember 2010Pressemitteilung
4
Auffassung, dass die Entscheidung, einem bestehen Familienverband zwischen dem
betroffenen Kind und seinen rechtlichen Eltern Vorrang einzuräumen gegenüber der
Beziehung zu seinem biologischen Vater, soweit dessen rechtlicher Status betroffen war,
in den Beurteilungsspielraum des Staates fiel. Folglich lag in beiden Fällen keine
Verletzung von Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 14 vor.
Die Urteile liegen nur auf Englisch vor.
Diese Pressemitteilung ist von der Kanzlei erstellt und für den Gerichtshof nicht bindend.
Entscheidungen, Urteile und weitere Informationen stehen auf seiner Website zur
Verfügung. Um die Pressemitteilungen des Gerichtshofs zu erhalten, abonnieren Sie bitte
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Pressekontakte:
echrpress@echr.coe.int | Tel: +33 3 90 21 42 08
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Céline Menu-Lange (tel: + 33 3 90 21 58 77)
Denis Lambert (+ 33 3 90 21 41 09)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wurde 1959 in Straßburg von den
Mitgliedstaaten des Europarats errichtet, um die Einhaltung der Europäischen
Menschenrechtskonvention von 1950 sicherzustellen.
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Ahrens v. Germany and Kautzor v. Germany (German version)
Urteil in Straßburg: Menschenrechtsgericht weist Klagen leiblicher ...
STERN.DE - vor 1 Stunde
Biologische Väter haben kein Anrecht auf Anerkennung der Vaterschaft, wenn das Kind einen anderen Mann als juristischen Vater hat. Das geht aus einem Urteil ...
Straßburg Menschenrechts-Gericht weist Klagen leiblicher Väter ab Stuttgarter ZeitungStraßburg (dpa) Eil +++ Menschenrechts-Gericht weist Klagen ... suedkurier.de
Urteil: Straßburg weist Klagen leiblicher Väter ab Potsdamer Neueste Nachrichten
Abweisung von Klagen mutmaßlich leiblicher Väter zur
Anfechtung der Vaterschaft nicht konventionswidrig
In seinen heute verkündeten Kammerurteilen in den Verfahren Ahrens gegen
Deutschland (Beschwerdenummer 45071/09) und Kautzor gegen Deutschland
(Beschwerdenummer 23338/09), die noch nicht rechtskräftig sind 1 , stellte der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einstimmig fest, dass keine
Verletzung von Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens)
und keine Verletzung von Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 14
(Diskriminierungsverbot) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)
vorlag.
Beide Fälle betrafen die Entscheidungen der deutschen Gerichte, Klagen zur Anfechtung
der Vaterschaft abzuweisen, die die Beschwerdeführer erhoben hatten. Einer der
Beschwerdeführer ist leiblicher Vater einer Tochter, der andere mutmaßlich leiblicher
Vater einer Tochter; rechtlicher Vater ist jeweils ein anderer Mann, der mit der
Kindesmutter zusammen lebt.
Zusammenfassung des Sachverhalts
Der Beschwerdeführer im ersten Verfahren, Denis Ahrens, geboren 1970, lebt in Berlin.
Der Beschwerdeführer im zweiten Verfahren, Heiko Kautzor, geboren 1971, lebt in
Willich. Beide sind deutsche Staatsangehörige.
Herr Ahrens ging davon aus, Vater einer im August 2005 geborenen Tochter zu sein,
mit deren Mutter, Frau P., er eine Beziehung gehabt hatte. Zur Zeit der Empfängnis lebte
Frau P. mit einem anderen Mann, Herrn M., zusammen, der die Vaterschaft für das Kind
anerkannte. Das Paar hat das gemeinsame Sorgerecht und kümmert sich gemeinsam
um das Kind. Im Oktober 2005 erhob Herr Ahrens Klage wegen Anfechtung der
Vaterschaft von Herrn M. und gab eine eidesstattliche Versicherung ab, er habe während
der Empfängniszeit intime Kontakte mit Frau P. gehabt. Herr M. machte geltend, er
übernehme die volle elterliche Verantwortung für das Kind, selbst wenn er nicht der
leibliche Vater sei.
Nach Anhörung aller Parteien stellte das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg mit Urteil
vom April 2007 fest, dass Herr Ahrens leiblicher Vater des Kindes sei. Das Gericht
berücksichtigte ein Sachverständigengutachten sowie das Ergebnis eines Bluttests, der
Herrn Ahrens’ biologische Vaterschaft nachwies, und kam zu der Auffassung, dass er
nicht an der Anfechtung der Vaterschaft von Herrn M. gehindert sei. Im August 2007 hob
das Kammergericht Berlin das Urteil des Amtsgerichts auf und befand, dass Herr Ahrens
kein Recht habe, die Vaterschaft anzufechten, da zwischen Herrn M. und dem Kind eine
sozial-familiäre Bindung bestehe, die andauere, obwohl erwiesen sei, dass Herr M. nicht
1 Gemäß Artikel 43 und 44 der Konvention sind Kammerurteile nicht rechtskräftig. Innerhalb von drei Monaten
nach der Urteilsverkündung kann jede Partei die Verweisung der Rechtssache an die Große Kammer
beantragen. Liegt ein solcher Antrag vor, berät ein Ausschuss von fünf Richtern, ob die Rechtssache eine
weitere Untersuchung verdient. Ist das der Fall, verhandelt die Große Kammer die Rechtssache und
entscheidet durch ein endgültiges Urteil. Lehnt der Ausschuss den Antrag ab, wird das Kammerurteil
rechtskräftig.
Sobald ein Urteil rechtskräftig ist, wird es dem Ministerkomitee des Europarats übermittelt, das die Umsetzung
der Urteile überwacht. Weitere Informationen zum Verfahren der Umsetzung finden sich hier:
www.coe.int/t/dghl/monitoring/execution. Pressemitteilung
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der leibliche Vater sei. Im Mai 2009 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, die
Verfassungsbeschwerde Herrn Ahrens’ zur Entscheidung anzunehmen.
Herr Kautzor ging davon aus, Vater der im März 2005 geborenen Tochter seiner
ehemaligen Ehefrau, Frau D., zu sein. Frau D. lebt mit einem neuen Partner, Herrn E.,
zusammen, der die Vaterschaft für das Kind im Mai 2006 anerkannte. Später bekam das
Paar zwei weitere Kinder und heiratete. Herr Kautzor teilte seiner ehemaligen Ehefrau
mit, dass er Umgang mit dem Kind wünsche und beabsichtige, die Vaterschaft
anzuerkennen. Im Juli 2006 reichte er beim Amtsgericht Bielefeld Klage auf Feststellung
seiner Vaterschaft ein und erweiterte die Klage im Folgenden um einen Antrag auf
Anfechtung der Vaterschaft von Herrn E.
Nach Anhörung der Parteien einschließlich des für das Kind bestellten Verfahrenspflegers
wies das Amtsgericht die Anträge Herrn Kautzors mit Urteil vom Juni 2008 zurück. Das
Gericht befand, dass er von der Vaterschaftsanfechtung ausgeschlossen sei, weil eine
sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater Herrn E.
bestehe. Da das Kind einen rechtlichen Vater habe, habe Herr Kautzor auch kein Recht
auf Feststellung seiner Vaterschaft durch einen Gentest. Das Oberlandesgericht wies
seine Berufung im Dezember 2008 zurück. Auf eine Anhörungsrüge Herrn Kautzors
bestätigte das Oberlandesgericht, dass er nach den maßgeblichen Bestimmungen des
BGB in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts auch nicht berechtigt sei, eine
Abstammungsuntersuchung einzufordern, ohne dass seine rechtliche Vaterschaft
festgestellt würde. Im Juni 2009 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, die
Verfassungsbeschwerde Herrn Kautzors zur Entscheidung anzunehmen.
Beschwerde, Verfahren und Zusammensetzung des Gerichtshofs
Unter Berufung auf Artikel 8 für sich genommen und in Verbindung mit Artikel 14 rügten
beide Beschwerdeführer die Entscheidungen der deutschen Gerichte, ihre Klagen zur
Anfechtung der Vaterschaft zurückzuweisen, und machten geltend, dass sie im
Verhältnis zur Mutter, zum rechtlichen Vater und zum Kind diskriminiert würden.
Die Beschwerde Herrn Ahrens’ wurde am 18. August 2009 und die Beschwerde Herrn
Kautzors am 30. April 2009 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
eingelegt. Im Fall Ahrens erhielten Frau P. und Herr M., die rechtlichen Eltern der
leiblichen Tochter des Beschwerdeführers, die Erlaubnis, als Drittpartei eine
Stellungnahme einzureichen.
Die Urteile wurden von einer Kammer mit sieben Richtern gefällt, die sich wie folgt
zusammensetzte:
Dean Spielmann (Luxemburg), Präsident,
Elisabet Fura (Schweden),
Boštjan M. Zupančič (Slowenien),
Mark Villiger (Liechtenstein)
Ganna Yudkivska (Ukraine),
Angelika Nußberger (Deutschland),
André Potocki (Frankreich), Richter,
und Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin.
Entscheidung des Gerichtshofs
Artikel 8
In beiden Fällen kam der Gerichtshof zu der Auffassung, dass die Entscheidungen der
deutschen Gerichte, die Anträge der Beschwerdeführer auf Feststellung der rechtlichen
Vaterschaft für ihr leibliches bzw. mutmaßlich leibliches Kind zurückzuweisen, einen
Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 darstellten. Gleichzeitig Pressemitteilung
3
befand der Gerichtshof, dass diese Entscheidungen keinen Eingriff in ihr Recht auf
Achtung des Familienlebens im Sinne von Artikel 8 bedeuteten, da niemals eine enge
persönliche Bindung zwischen den Beschwerdeführern und den Kindern bestanden hatte.
In einem anderen Fall, Anayo gegen Deutschland 2 , hatte der Gerichtshof eine Verletzung
von Artikel 8 aufgrund der Weigerung der deutschen Gerichte festgestellt, einem Mann
Umgang mit seinen leiblichen Kindern zu gewähren, da er nie eine sozial-familiäre
Bindung zu ihnen gehabt habe. Die von Herrn Ahrens und Herrn Kautzor erhobenen
Klagen hatten jedoch ein weitreichenderes Ziel: sie waren auf ihre vollständige
Anerkennung als rechtlicher Vater des jeweiligen Kindes ausgerichtet und somit darauf,
die Vaterschaft des existierenden rechtlichen Vaters anzufechten. Herr Kautzor rügte
darüber hinaus die mangelnde Möglichkeit, seine mutmaßliche Vaterschaft festzustellen,
ohne den rechtlichen Status des Kindes anzufechten.
Der Gerichtshof stellte fest, dass einer von ihm durchgeführten rechtsvergleichenden
Untersuchung zufolge mutmaßliche biologische Väter in einer Mehrheit der
Mitgliedstaaten des Europarats die Möglichkeit haben, die – durch
Vaterschaftsanerkennung festgestellte - Vaterschaft eines anderen Mannes anzufechten,
selbst wenn der rechtliche Vater in einer sozial-familiären Beziehung mit dem Kind lebt.
In einer signifikanten Minderheit von neun Mitgliedstaaten hingegen hat der mutmaßliche
biologische Vater keine Möglichkeit, die Vaterschaft des rechtlichen Vaters anzufechten.
Folglich besteht kein gefestigter Konsens und die Mitgliedstaaten verfügen daher über
einen weiten Beurteilungsspielraum im Hinblick auf die Festlegung des rechtlichen Status
eines Kindes in einer entsprechenden Situation.
Zwar hatten die Beschwerdeführer Anspruch auf Schutz ihres Interesses an der
Feststellung eines wesentlichen Gesichtspunktes ihres Privatlebens und an dessen
rechtlicher Anerkennung. Die Entscheidungen der deutschen Gerichte hatten aber darauf
abgezielt, dem Willen des Gesetzgebers zu entsprechen, einem bestehenden
Familienverband zwischen dem betroffenen Kind und seinem rechtlichen Vater, der sich
regelmäßig um das Kind kümmert, Vorrang einzuräumen gegenüber der Beziehung
zwischen dem (angeblichen) leiblichen Vater und seinem Kind. Aus dem Urteil im Fall
Anayo gegen Deutschland ließ sich ableiten, dass die Mitgliedstaaten nach Artikel 8
verpflichtet sind zu prüfen, ob es im Kindeswohlinteresse liegt, dem leiblichen Vater die
Möglichkeit zu geben, eine Beziehung zu seinem Kind aufzubauen, etwa durch
Gewährung des Umgangsrechts. Daraus folgt aber nicht notwendigerweise eine
Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach der Konvention, biologischen Vätern die
Möglichkeit einzuräumen, den Status des rechtlichen Vaters anzufechten.
Im Hinblick auf den Fall Kautzor stellte der Gerichtshof fest, dass keiner der 26
Mitgliedstaaten, die er in seiner rechtsvergleichenden Untersuchung berücksichtigt hatte,
ein Verfahren vorsieht, um die biologische Vaterschaft festzustellen, ohne gleichzeitig die
Vaterschaft des rechtlichen Vaters anzufechten. Die Entscheidung, die Möglichkeit einer
solchen separaten Prüfung vorzusehen oder nicht, fiel folglich auch in den
Beurteilungsspielraum des Staates.
Der Gerichtshof zeigte sich darüber hinaus überzeugt, dass die deutschen Gerichte die
jeweilige Situation in beiden Fällen sorgfältig geprüft hatten. Folglich lag in beiden Fällen
keine Verletzung von Artikel 8 vor.
Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 14
Der Gerichtshof stellte fest, dass der Hauptgrund für die Ungleichbehandlung der
Beschwerdeführer im Vergleich zur Mutter, zum rechtlichen Vater und zum Kind
hinsichtlich der Möglichkeit, die Vaterschaft anzufechten – und im Fall Kautzor
hinsichtlich der Möglichkeit, einen Gentest zu verlangen – in der Absicht lag, das
jeweilige Kind und seine soziale Familie vor äußerer Beeinträchtigung zu schützen. In
Erwägung seiner Schlussfolgerungen hinsichtlich Artikel 8 kam der Gerichtshof zu der
2 Anayo gegen Deutschland 20578/07 vom 21. Dezember 2010Pressemitteilung
4
Auffassung, dass die Entscheidung, einem bestehen Familienverband zwischen dem
betroffenen Kind und seinen rechtlichen Eltern Vorrang einzuräumen gegenüber der
Beziehung zu seinem biologischen Vater, soweit dessen rechtlicher Status betroffen war,
in den Beurteilungsspielraum des Staates fiel. Folglich lag in beiden Fällen keine
Verletzung von Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 14 vor.
Die Urteile liegen nur auf Englisch vor.
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Entscheidungen, Urteile und weitere Informationen stehen auf seiner Website zur
Verfügung. Um die Pressemitteilungen des Gerichtshofs zu erhalten, abonnieren Sie bitte
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echrpress@echr.coe.int | Tel: +33 3 90 21 42 08
Nina Salomon (+ 33 3 90 21 49 79)
Tracey Turner-Tretz (+ 33 3 88 41 35 30)
Kristina Pencheva-Malinowski (+ 33 3 88 41 35 70)
Céline Menu-Lange (tel: + 33 3 90 21 58 77)
Denis Lambert (+ 33 3 90 21 41 09)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wurde 1959 in Straßburg von den
Mitgliedstaaten des Europarats errichtet, um die Einhaltung der Europäischen
Menschenrechtskonvention von 1950 sicherzustellen.
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