27.11.2011 Gastbeitrag von OStA’in a. D. G. Wolff
OLG Köln in Sachen Kachelmann gegen BILD, 15 U 61/11 – Segelanleitung für weitere Exzesse des Boulevard-Journalismus?
Zum Posting:
OLG Köln korrigiert falsche eigene Pressemitteilung zu angeblichen DNA-Funden von Jörg Kachelmann am angeblichen "Tatmesser". vor 2 Tagen —Na, vielleicht kann ja "Beck-aktuell" von heute NAcht, dann doch auch nochmal "ergänzend" und klarstellend hier nachlegen ;-)). http://beck-aktuell.beck.de/ news/ fall-kachelmann-olg-koeln-legt- grenzen-zulaessiger-berichters tattung-in-straf-und-ermittlun gsve Fall Kachelmann: OLG Köln le… » (+2)
Es ist eine gute Einrichtung, daß es spezialisierte Juristen gibt, die sich auf einem bestimmten Rechtsgebiet auskennen und auf anderen eben nicht. Fatal wird es, wenn die Spezialisten der einen Richtung die der anderen nicht mehr verstehen können und angesichts mancher Entscheidungen nur noch den Eindruck gewinnen, daß Spezialistentum ein universales Rechtsgefühl außer Kraft setzt. Daß falsch begründete Urteile auch falsche Pressemitteilungen generieren, wissen wir ja seit dem begründungsverweigernden Kachelmann-Freispruch, der in der entsprechenden Pressemitteilung des LG Mannheim vom 31.5.2011 seinen kongenialen Ausdruck gefunden hat. Den Link mag ich nicht einmal mehr posten, so peinlich erscheint einem das Rechtfertigungsbedürfnis des zurecht angegriffenen Gerichts und die krasse Verweigerung einer rationalen Auseinandersetzung mit den Gutachten, die in ihrer Gesamtschau eine Falschbeschuldigung mehr als nur nahelegen.
Auf diesem Gebiet kenne ich mich als Strafjuristin aus. Auf presserechtlichem nicht. Aber wenn ich diese Korrektur einer falschen Pressemitteilung eines OLG über sein eigenes Urteil lese:
Pressemitteilung vom 23. November 2011
Die hiesige Pressemitteilung vom 22.11.2011 enthielt in Absatz 3 die Aussage, dass an dem gefundenen Messer die DNA des Klägers festgestellt worden ist. Eine solche Aussage enthält das Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 15. November 2011 – 15 U 61/11 - jedoch nicht. Gegenstand des Verfahrens war vielmehr nur der Bericht der Beklagten, wonach sich an dem Messer nach damaliger Darstellung DNA-Spuren des Klägers befunden haben sollen. Das Oberlandesgericht Köln hat in seinem Urteil vom 15.11.2011 – 15 U 61/11 – keine Feststellungen dazu getroffen, ob diese Darstellung der Wahrheit entsprach.
http://www.olg-koeln.nrw.de/presse/l_presse/index.php
dann kann ich nur konstatieren, daß mit diesem Urteil etwas ganz und gar nicht stimmen kann. Dem OLG Köln erschien es für seine Entscheidung demnach belanglos, ob BILD die Tatsache von Fingerabdrücken und DNA eines Beschuldigten an der angeblichen Tatwaffe erfunden, ungeprüft von der aus unlauteren Quelle schöpfenden SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG abgeschrieben oder offiziell als Ermittlungsstand von den zuständigen Behörden erfahren hat?
Das soll alles ganz egal sein, weil eine öffentliche Vorverurteilung des derartig medial belasteten Beschuldigten laut Pressemitteilung des OLG nur unter diesen Voraussetzungen in Betracht kommt:
Das Oberlandesgericht war auf die von den Beklagten eingelegte Berufung hin jedoch der Auffassung, dass die Grenzen der zulässigen Verdachtsberichterstattung nicht überschritten seien: es sei stets hinreichend klargestellt worden, dass aus Sicht der Staatsanwaltschaft genug Beweise für eine Anklageerhebung vorlagen, ohne dass aber bereits im Sinne einer Vorverurteilung der Ausgang des Strafverfahrens als sicher vorherzusagen dargestellt worden sei (Az: 15 U 61/11).
http://www.olg-koeln.nrw.de/presse/l_presse/index.php
Entweder hat die Pressesprecherin Frau Rüntz das Urteil ihrer Kollegen nicht verstanden oder aber das Urteil des OLG Köln pro BILD stellt eine Segelanleitung in den Exzess boulevardesker Vernichtung von Personen dar.
Denn die von der SÜDDEUTSCHEN kolportierten und von BILD ungeprüft abgeschriebenen Informationen vom 22.4.2010 über Fingerabdrücke und DNA des Beschuldigten Kachelmann an der angeblichen Tatwaffe waren falsch. Sie entsprachen auch nicht dem LKA-Gutachten, das erst am 27.4.2010 fertiggestellt wurde und das andere Befunde präsentierte (auch wenn es, aber das gehört in das Kapitel abhängige ›Wissenschaft‹, sich im Fazit bemühte, die Spurenlage als jedenfalls noch vereinbar mit den Belastungen durch die Anzeigenerstatterin zu erklären): diese Bemühung des Sachverständigen wurde in der Hauptverhandlung als parteiisch und haltlos entlarvt. Erst unter Befragungsdruck räumte der LKA-Sachverständige ein, daß bei Zugrundelegung der Tatschilderung ein anderes, wesentlich eindeutigeres, Spurenbild zu erwarten gewesen wäre als das Auffinden eines einzigen DNA-Fragments, das nicht ausschließbar vom Beschuldigten stammte, das aber wegen der Mischspur der DNA mit der der Anzeigenerstatterin mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Übertragungsspur sein müsse – mithin eine Nullspur ohne Beweiswert darstellte.
Wenn ich das OLG Köln in seinen Verlautbarungen, und mehr steht mangels Veröffentlichung des Urteils selbst nicht zur Verfügung, richtig verstehe, lautet die Segelanleitung an den Boulevard so:
Bei Verdachtsberichterstattung könnt ihr erfinden, unseriösen Quellen schlicht glauben, ungeprüft voneinander abschreiben – solange ihr nicht den Verfahrensausgang als sicher darstellt (was bei Aussage gegen Aussage-Konstellationen gar nicht möglich ist), könnt ihr machen, was ihr wollt. Solange ihr nur die Siegeswißheit von Staatsanwaltschaften transportiert, kann euch nichts passieren.
Offenbar ist es dem OLG Köln entgangen, daß auch die Staatsanwaltschaften mittlerweile PR betreiben und die Öffentlichkeit desinformieren, wie der Fall Kachelmann auch dem gutgläubigsten Rechtsstaatsverfechter eindrucksvoll vor Augen geführt hat...